Viel der heutigen Biodiversität ist erst durch die Tätigkeit des Menschen entstanden. Neben natürlichen Lebensräumen wie Wäldern sind Lebensräume aus Menschenhand entstanden. Getreideäcker und Beikräuter/Unkräuter der Getreideäcker kommen in der Natur nicht vor. Für Pflanzen wie Mohn, Kornrade und Kornblume und Tiere wie Rebhuhn oder Feldhamster bieten Getreideäcker Lebensraum.
Die Artenvielfalt ist jedoch bedroht und Arten sind gefährdet. Die Intensivierung der Landwirtschaft (Pestizide), Monokulturen, ausgeräumte Landschaften und Landnutzungsänderungen haben einst häufige Arten verschwinden lassen. Der Feldhamster ist in Westeuropa vom Aussterben bedroht. Einst als Schädling bekämpft ist er heute Ziel von Artenschutz- und Ackerschutzprogrammen.
Das Rot des Klatschmohns und das Blau der Kornblume ist heute in Getreideäckern nur sehr selten zu finden. Kornblumen und andere Ackerunkräuter werden in der agrarindustriellen Landwirtschaft mit Pestiziden aus dem Ackerland eliminiert. Die Ausrottung und Ausmerzung aller nicht- erwünschten Arten in einem Acker gelingt mit Herbiziden wie Glyphosat (ausgenommen Arten, welche Resistenzen entwickelt haben). In monotonen Ackerbaugebieten Europas fehlen die bunten Ackerunkräuter und ihre Bewohner, wie Rebhühner und Feldhamster.
Der Verlust der Artenvielfalt ist gerade bei Arten der Äcker unübersehbar. Die moderne Landwirtschaft ist zum großen Vernichter der Artenvielfalt geworden. Pflanzengesellschaften der Ackerunkräuter sind verschwunden oder stark verändert.
Beispiele von verschwundenen/ stark veränderten Pflanzengesellschaften von Unkräutern/Beikräutern:
Getreideäcker inneralpin:
Adonisröschen- Ackerrittersporn- Gesellschaft
Unter den Getreideunkrautgesellshaften der inneralpinen Trockeninseln ist die Adonisröschen- Ackerrittersporn- Gesellschaft (Adonido- Delphinietum consolidae) eine Unkrautflur, welche in inneralpinenTrockeninseln (Wallis, Vinschgau, Oberinntal, Graubünden) vorkam. Bereits 1970, als die Vegetation von Braun- Blanquet beschrieben wurde, wurde ihr Erlöschen festgestellt. Die Gesellschaft beherbergt mehrere charakteristische und seltene Ackerunkräuter: Adonisröschen (Adonis aestivalis), Kornrade (Agrostemma githago) und Acker- Wachtelweizen (Melampyrum arvense).
Der Getreideanbau ist in den Alpen weitgehend verschwunden und von intensiver Milchkuhhaltung abgelöst worden. Ackerunkräuter verloren ihren Lebensraum und die Landnutzungsänderungen hatten den Biodiversitäsverlust zur Folge.
Weinberge:
Weinbergslauch- Gesellschaft
Weinberge beherbergten in der Vergangenheit ebenfalls eine charakteristische eigene Unkrautgesellschaft: Die Weinbergslauch- Gesellschaft (Geranio rotundifolii- Allietum vineale). Früher wurden Weinberge gehackt, der Boden aufgebrochen, und ruderale Arten und Geopyhten (Zwiebel- und Knollenpflanzen) bestimmten das Bild der Weinbergfluren. Die Weinbergs- Traubenhyazinthe (Muscari neglectum), Milchsternarten (Ornithogalum sp.), Weinberglauch (Allium vinele) und die Wilde Tulpe (Tulipa sylvestris) sind charakteristische Arten. Diese typischen Arten sind in den Weinbergen jedoch bereits weitgehend ausgerottet.
Zahlreiche segetale Arten (Arten der Äcker, Gärten und Weinberge) sind in Südtirol vom Aussterben bedroht oder schon ausgestorben. Auswahl von Ackerunkräutern/Segetalvegetation Rote Liste Gefäßpflanzen Südtirol (ausgestorben= RE, gefährdete Arten= CR, EN,VU,NT):
- Adonis aestivalis CR
- Agrosemma githago CR
- Ajuga chamaepitys RE
- Allium vineale NT
- Anthemis arvensis EN
- Aristolochia clematitis VU
- Asperula arvensis RE
- Avena fatua VU
- Bromus arvensis RE
- Bromus commutatus ssp decipiens CR
- Bupleurum rotundifolium RE
- Camelina alyssum RE
- Camelina microcarpa NT
- Cauclis platycarpos EN
- Cerinthe minor CR
- Consolida regalis EN
- Cuscuta epillinum RE
- Cyanus segetum EN
- Euphorbia exigua RE
- Euphorbia falcata RE
- Fagopyrum tataricum RE
- Gagea villosa EN
- Galium tricornutum RE
23% der in Südtirol ausgestorbenen Pflanzenarten gehören zur Segetalvegetation
Ruderalfluren
Pflanzenbestände aus Stauden, Gräsern, ein- und zweijährigen Kräutern auf vom Menschen stark veränderten, gestörten Standorten wie Wegrainen, Böschungen, geschotterten Plätzen in Siedlungen, Schuttflächen, ehemaligen Abbauflächen, Industriebrachen, Bahndämmen usw. sind Ruderalfluren. Auch an gestörten Ufern von Teichen und Fließgewässern ist Ruderalvegetation ausgebildet.
Die Ruderalvegetation entwickelt sich auf den verschiedenen Standorten höchst unterschiedlich. Auf trocken- warmen Standorten auf Böschungen, an Wegen und Feldrändern entwickelt sich z.B. die Eseldistelgesellschaften (Onopodrdion acanthii) mit der charakteristischen Eseldistel und an Seen, Teichen, Gräben oder in feuchten Fahrspuren verbreitet sind die Zweizahnfluren (Bidention tripartitae). Der Stechapfel kommt in Mitteleuropa besonders in kurzlebenden Ruderal-Gesellschaften der Ordnung Sisymbrietalia vor, auf stickstoffreichen, sonnigen Standorten.
Die Ruderalvegetation setzt sich aus zahlreichen Pflanzenarten von zweijährigen Arten wie Disteln und Königskerzen oder einjährigen Arten wie Gänsefußarten oder Stechapfel zusammen. Die Ruderalvegetation ist durch ihren ausgesprochenen Artenreichtum für die Biodiversität bedeutend.
Eine besonders schöne Ruderalgesellschaft ist das Steinklee Gestrüpp
An Bahnanlagen, auf Ödland, Strassenrändern, Kies- und Schottergruben mit skelettreichen, kalkreichen Schottern im temperaten Mitteleuropa gedeihen bunte farbenfrohe Bestände, die von Steinkleearten und Natterkopf beherrscht werden. Diese Gesellschaft (Echio- Meliotetum) bildet hochwüchsige Bestände, wobei das Blau des Natterkopfs und der Anchusa officinialis, das Gelb des Gelben Steinklees und der Königskerzen sowie das Weiss des Weissen Steinklees eine optisch ansprechende und schöne Ruderalflur darstellt.
Ruderale Halbtrockenrasen sind ebenfalls auf ruderalen Standorten ausgebildet. Das Gewimperte Perlgras (Melica ciliata) beherrscht öfter Böschungen auf trocken- heissen Standorten und Trockenrasenarten und ruderale Arten gedeihen nebeneinander.
Für den Erhalt der Artenvielfalt ist die Erhaltung von Ruderalfluren von großer Bedeutung. Rainfarn, Malven, Disteln und Königskerzen sind für Wildbienen und Honigbienen wichtige Nektar- und Pollenquellen im Hochsommer.
Zahlreiche Tierarten, von Insekten bis Vögeln, finden auf Ruderalflächen Nahrung und einen Lebensraum. Die Samenstände der Disteln bieten Nahrung für den Stieglitz (auch Distelfink genannt) und andere Vögel und Säugetiere, welche sich von Samen (Körner) ernähren. Viele ruderale Arten blühen üppig und bieten Wildbienen, Schmetterlingen und anderen Insekten Nahrung. Ruderale Lebensräume, wie Schotterflächen, sind zudem Biotope für Eidechsen. Zahlreiche ruderale Pflanzenarten sind auch Nahrungspflanzen von bestimmten Tierarten, wie der Steinklee für bestimmte Bläulingsarten. Ruderalfluren sind sehr wertvolle Biotope in der landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft und im Bereich von Siedlungen.
Gefährdung von Ruderalvegetation:
9% der in Südtirol ausgestorbenen Pflanzenarten gehören zur Ruderalvegetation
Auswahl gefährdeter und ausgestorbener ruderaler Arten der Roten Liste Südtirol (ausgestorben= RE, gefährdete Arten= CR, EN,VU,NT):
- Marrubium vulgare EN
- Plantago arenaria RE
- Plantago holosteum RE
- Potentilla multifida EN
- Reseda luteola VU
- Rumex pulcher CR
- Senecio jacobaea EN
32% der in Südtirol ausgestorbenen Pflanzenarten sind Arten der Segetalvegetation und Ruderalvegetation. Nur in den Feuchtgebieten sind noch mehr Arten ausgestorben. Der Artenverlust ist enorm und mit dem Aussterben weiterer Arten muss gerechnet werden. Vom Aussterben bedrohte Arten (CR) werden in nächster Zeit aussterben, wenn die Gefährdungsursachen weiterhin einwirken und wenn keine Maßnahmen zum Erhalt der letzten Bestände getroffen werden. Auch bei stark gefährdeten Arten (EN) können bereits geringste Eingriffe zu ihrem Verschwinden führen.
Ruderalfluren im Siedlungsraum und in der Kulturlandschaft gehen verloren. Die Ursachen für den Artenverlust sind:
- Asphaltierung und Versiegelung von Flächen
- Mähen und Mulchen (Wegränder, Böschungen)
- Einsatz von Pestiziden
- Verschönerungensaktionen in Siedlungen (Mit Bodendeckern und Rindenmulch werden potentielle Standorte von Ruderalfluren in Siedlungen zugepflastert)
Eine große Gefahr für die Arten der ruderalen Lebensräume sind invasive Neophyten, welche neue ruderale Standorte rasch besiedeln und Königskerzen, Natterkopf und CO verdrängen. Häufig siedeln sich heute auf Brachen und gestörten Flächen invasive Neophyten an. Die Flächen werden von Gehölzen (Robinien und Götterbaum) oder von der kanadischen Goldrute besiedelt. Die invasiven Neophyten bilden Verdrängungsgesellschaften und verdrängen heimische und alteingebürgerte Pfalnzenarten. Mehr dazu auf http://biodiversitaet.bz.it/invasive-neobiota/
Ruderalfluren können gefördert werden durch:
- Verzicht auf Mahd und Mulchen (Böschungen, Weg- und Strassenränder)
- Entsiegelung von Flächen und Vermeidung weiterer Versiegelung
- Zulassen von natürlicher spontaner Begrünung und Verzicht auf Einsaat von Samenmischungen aus dem Handel (ausgenommen Saatgut heimischer Arten)
- Verzicht und Verbot von Pestiziden auf öffentlichen Flächen und überall dort, wo es Ruderalvegetation gibt.
- Anlage von Ruderalfluren und Ansaat von heimischen Arten